Dienstag, 18. September 2012

Wegsehen.

Da schreibe ich in einem Post von mir, dass ich mit dem Wegsehen brechen will, und sehe doch selbst weg.

Denn ich ignoriere meine Innenpersonen im Moment so gut es geht.
So wird der Kreis nicht durchbrochen.
Denn in mir sind Kinder die schreien und weinen.
Und ich höre nicht hin. Ich sehe weg.

So wie damals meine Großeltern. So wie damals viele Menschen.

Ich durchbreche den Kreis nicht, ich führe ihn in mir selbst weiter.

Noch vor einer halben Stunde habe ich meine zwei obersten Prioritäten genannt - in einem Gespräch mit meinem Freund - die da wären:
- Kinder schützen, um jeden Preis.
- Vor Fremden nicht schwach erscheinen.

Alles schön und gut wenn ich Außenkinder schütze, aber was ist mit meinen Innenkindern???

Ich weiß, ich weiß... ja ich weiß es! Aber nun? Was soll ich bloß tun, wenn der Schmerz den sie fühlen unerträglich ist.
Ich mache es so, wie so viele andere Außenmenschen: ich kann den Schmerz nicht ertragen, also frage ich nicht nach, ich schaue nicht hin.

Vor einer Woche ungefähr hatte ich dieses Gespräch mit einer Freundin von mir: die, die keine furchtbare Gewalt erlebt haben, und manchmal auch die, die sie erlebt haben, schauen so viel weg. Sie wollen oder können sich nicht damit auseinandersetzen, wie man sich als absolutes Opfer fühlt. Wie es einem geht, wenn man grausamste Gewalt erlebt.

Lieber mit dem Finger zeigen - wie auf Natascha Kampusch der Finger gezeigt wurde und wird.

Den Schmerz der Opfer - den will keiner nachempfinden.
Verständlich irgendwie, denn wer will schon durch diesen Schmerz hindurchgehen.
Aber hinsehen, ein wenig mitfühlen, sich informieren, nur ein kleines bisschen Nachdenken... das wäre doch nicht zu viel verlangt.

Statt dessen höre ich immer wieder im Fall Natascha Kampusch: ja aber sie hätte doch schon längst wegrennen können.
Und es ärgert mich immer wieder auf's Neue obwohl ich solche Kommentare schon so oft gehört habe! Es ärgert mich, weil lieber alle das Opfer zur Schuldigen machen wollen. Weil lieber alle alles abtun, beschwichtigen, verkleinern und unsichtbar machen wollen.

JA als Opfer ist es wirklich schwer. JA als Opfer hat man keine Rechte, man leidet, leidet und leidet.

Erst wenn man es vom Opfer zur Überlebenden schafft, wenn die gefährlichen Situationen getilgt, entfernt, wurden, von einem selbst oder vom Außen, erst wenn man es schafft sich das ganze anzuschauen und sich über die eigenen Gefühle im Klaren wird... erst dann hat man eine Chance, dass so etwas nie wieder passiert.

Natascha Kampusch, die Vergewaltiger, die jetzt Fußfesseln tragen, weil sie unter einem Jahr Strafe erhalten haben, und viele andere Fälle... sie alle sind nur ein Symbol meines eigenen Schmerzes. Davon, wie missverstanden, ungesehen/unsichtbar, ungehört und alleingelassen WIR uns fühlen.

Es ist schlimm wenn wir in einer Gesellschaft leben, die Seelenverbrechen bagatellisiert, abtut, wegsieht, nicht hinhört, und zum Schluss auch noch die Opfer zu Tätern oder Mittätern machen will.

Es ist schlimm. Wirklich, wirklich schlimm.

Noch schlimmer, wenn man so dagegen ankämpft, dass die Menschen wegsehen, und es dann nicht schafft, bei sich selbst hinzusehen.

Die Dinge müssen sich ändern.

Montag, 17. September 2012

wenn die krise nicht enden will

Seit Wochen will die Krise nicht enden.
Der Grund?
In den Medien war ein großer Aufschrei, weil mehrere Vergewaltiger ihre "Strafe" mit Fußfessel daheim absitzen.
Sogar Menschen, die ihre eigenen Kinder, oder eben Pflegekinder, jahrelang vergewaltigt haben.

Das sandte eine Schockwelle durch mein inneres System.

Wenn wir unsere Täter anzeigen wollen würden, würden sie eventuell auch einfach nur eine Fußfessel, also auch: unter einem Jahr Strafe bekommen.

Für jahrelange Vergewaltigungen und zerstörte Leben.

Erst jetzt bin ich fähig den Grund für unsere Krise überhaupt zu schreiben.

Wir haben noch nicht herausgefunden, wie wir aus dieser Krise wieder gestärkt hervorgehen können.

Also verbringen wir die meiste Zeit online, schreiben, schreiben, schreiben über unser Leid und holen uns Feedback und Ideen.

Im Moment versuchen wir nur einfach so sicher wie möglich zu sein: wir essen, wenn wir können, wir versuchen uns nicht selbst zu verletzen, wir sind in regelmäßigem Kontakt mit unserer Psychiaterin und unserer Therapeutin, wir versuchen uns nicht komplett zu isolieren.

Vor allem versuchen wir uns daran zu erinnern: auch diese Krise wird vorbei gehen, auch diese Krise wird ihr Ende finden und dann wird die Welt wieder sonniger, schöner, einfacher und unsere Last wieder leichter sein.


Donnerstag, 6. September 2012

essen... immer essen... immer wieder

Wir sind wieder hineingerutscht in die alte Essstörungsspirale.
Immer weiter dreht sie sich, nach unten, reißt uns mit sich in großen Wellen, wir können das Wasser nicht trinken... wir ertrinken.

Hier sind wir. Wir sind hier.
Wir könnten so viel tun, so vieles wäre noch zu erledigen, so vieles wäre noch an Kreativem zu gestalten. So viele Projekte, angefangen... und verworfen, ignoriert, aus unseren Gedanken verbannt.

nicht gut genug.

Einfach nicht gut genug. Nichts ist gut genug. Nichts ist perfekt.
Es muss perfekt sein.

Aber am aller meisten wollen wir doch nur, dass jemand versteht, sieht, wie schlecht es uns gerade geht.

Ignoriert, weggestoßen, unverstanden, ausgeschlossen.

Es kommt der Winter. Er hat einen Vorteil. Und einen Nachteil.
Vorteil. Die Menschen um uns herum, die wir gerade erst kennenlernen, sehen unsere Narben nicht, und nehmen an, wir sind auch nur ein ganz normales Mädchen, das mittem im Leben steht.
Nachteil. Neue Verletzungen können gut versteckt werden.

Im Winter, wissen wir, erscheinen wir erst einmal ganz normal.

Ganz normal.

Wir sind nicht normal!
Wir sind ein WIR!

Wollen gesehen werden. Wir ALLE wollen gesehen werden. Wir wollen unsere Stimme finden, wir möchten RAUS RAUS RAUS aus dieser Haut.

Verschwinden.
Ein weiteres Thema. Wir möchten uns in Luft auflösen und einfach nur verschwinden. Einfach weggehen, raus aus uns selbst, raus aus diesem Leben, einfach nur weg.

Nichts in uns.
Wir wollen nichts in uns haben. Nichts in diesem Körper, der unrein ist. So viele alte Gedanken sind damit verbunden. So viele alte Erfahrungen.

Es geht bergab mit uns... und es ist schwer, da noch etwas hinzuzufügen.

Sonntag, 2. September 2012

wenn gar nichts mehr geht.

Es sind wieder die Zeiten gekommen, in denen so gut wie gar nichts mehr geht.
Ich sitze hier und meine Hände zittern. Ich bin mir nicht sicher warum.

Ich kenne diese Zeiten bereits. Also tue ich das was mir gut tut, denn dagegen anzukämpfen, dagegen zu schmipfen, schreien und verzweifelt um sich schlagen innerlich - das bringt gar nichts, das wissen WIR bereits.

Also... im Moment stricken wir. Wir haben uns vor wenigen Wochen von einer Freundin und der Mutter das Stricken beibringen lassen und machen jetzt unser zweites Set Armschützer/-wärmer wie-auch-immer-die-Dinger-auf-Deutsch-heißen. ;)


Die Stimmung ist noch einigermaßen gut, nur die Konzentration und Kraft ist im Keller.
Zu viel ging uns in letzter Zeit durch den Kopf.
Jetzt heißt es, tief durchatmen, wieder zur Ruhe kommen, wieder Kraft tanken.

Wir wissen jetzt: diese Zeiten gehen auch wieder vorbei. Es wird wieder besser werden. Es braucht Zeit. Heilen braucht Zeit.

Wir werden daher einfach das tun, was uns gut tut.

Wir wünschen allen da draußen, die mitlesen, einen wunderschönen Sonntag!

Samstag, 1. September 2012

Entfremdet.

Wenn alles um mich, gesehen durch einen Nebel, fremd erscheint.
Wenn die Menschen, die ich liebe, die mir wichtig sind, plötzlich nicht mehr die sind, die sie sind.
Alles fremd.
Alles eigenartig fremd.

Und ich?
Wer bin ich?
Wer ist dieses WIR?
Wer ist vorne, wer ist hinten, wer sind all diese Augen, die voller Staunen, voller Hass, voller Zuneigung durch die meinen schauen?

Meine Psychiaterin gab dem Ganzen einen Namen:
Derealisation.
Depersonalisation.

Und sie sagte: es wird vorbei gehen.

Kaum noch Gedanken an Flucht, als sie das sagte. Es wird vorbei gehen.

Diese Normalität, sie erscheint mir so seltsam.
Keine Gewalt.
Nur Liebe, Zuneigung, ein aufmerksamer, liebevoller Mensch an meiner Seite, der mich nicht anschreit, mich nicht anlügt, mich nicht schlägt, nicht tritt, nicht Gewalt irgendwelcher Art anwendet.

Es ist seltsam, dieses mein gegenwärtiges Leben.

Es ist seltsam.

"Eine adequate Reaktion auf das was sie durchgemacht haben", sagte meine Psychiaterin.

Auch dieser Satz bringt Erleichterung.

Seit fast einer Woche FREMD.

FREMD in diesem Leben.
FREMD unter diesen Menschen.
FREMD in mir selbst.

Es war einfach alles zu viel.

Und so wurde abgeschalten.
Ich bin fassungslos.
Ich habe nichts, woran ich mich festhalten könnte.
Ich bin ohne Fassung. Nichts hält mich. Ich kann nichts fassen, was mich halten könnte.

Der Gedanke der letzte Woche immer wieder aufkam: DAVON! AUF UND DAVON!
Einfach wegrennen, vor diesem Leben, raus auf die Straße und alles hinter mir lassen.
Dieses friedvolle Leben, es kann nicht meines sein. Ich bin dafür nicht geschaffen.
Doch die Psychiaterin half mir ein wenig Fassung zurück zu erlangen: es wird vorbei gehen.

Gestern krümmte ich mich vor physischen und psychischen Schmerzen. Alles tat so weh. Es tat alles so weh.

Die Nacht davor schob ich die Katze von meinem Bauch, weil ich dachte, es wäre einer der Täter, der mich dort festhielt, küsste, umarmte.
Und ich klein und hilflos.

Flashbacks.

So viele davon.

Es wird vorbei gehen.

Ich weiß heute wird Die Mutter übernehmen, denn es kommen die Kinder. Und ich hab sie lieb, die Kinder. Sie brauchen nichts von meinem Schmerz, nichts von meiner ABNORMALITÄT. Sie brauchen Liebe, Zuversicht, Hoffnung und Stabilität.
Auch wenn sie nicht meine Kinder sind will ich ihnen das bieten können.

Es wird vorbei gehen.