Sonntag, 19. August 2012

Als ich die Türen nach Innen verschloss

Der Umzug ist in groben Zügen hinter uns.

Seither plagt uns wieder sehr die Vergangenheit.
Gestern war es vor allem der Verlust einer riesigen Familie, der uns besonders zu schaffen machte.
Wir sind so traurig darüber. Wir weinten bitterlich. Die Kinder fragen sich: "Was stimmt nur mit mir nicht, dass sie mich nicht lieben, ja, dass ich ihnen egal bin?"

Innenkinder trösten zu müssen bricht einem genauso das Herz wie Außenkinder trösten zu müssen.

Ich verbringe immer noch viel zu wenig Zeit im Innen. Viel zu wenig Zeit, zu sehen, wie es allen geht, zu trösten, zu lachen, zu reden.
Es fühlt sich immer noch komisch an, dass die Türen nach dem Innen jetzt wieder weit offen stehen, dass ich ihre Stimmen wieder hören darf.

Ich kann mich an eine Zeit in meiner Pubtertät erinnern, in der ich feststellte, dass in mir so viel Schmerz war, in mir die Stimmen nicht "normal" waren und dass ich die Türen schließen konnte.
Ich erinnere mich noch genau, dass ich jede Nacht vor dem Einschlafen die Zeit damit verbrachte, die Türen zu schließen, jede Nacht auf's Neue. Ich baute mir einen Turm und in diesen schloss ich mich ein und lebte fortan ohne Stimmen. Jedoch nicht ohne Schmerz, wovon die Narben, die ich trage, ein grausamer Zeuge sind.

Dass die Türen eines Tages wieder aufbrechen würden, dass ich all meine Innenanteile nicht ewig verschließen können würde, das war mir damals nicht klar. Ich verstand nichts von multipler Persönlichkeit, ich wusste nicht, was das bedeutete, und schon gar nicht, dass ich so etwas hatte.
Ich wusste nur eines: der Schmerz und der Lärm in meinem Kopf mussten aufhören.
Einfach aufhören.

Also tat ich das erst-beste was mir einfiel und verschloss mich.

So etwas darf nicht noch einmal passieren. Ich darf das nicht zulassen, aber dennoch finde ich es eigenartig, nach Innen zu gehen.
Ich weiß jetzt, dass diese Stimmen - diese Personen, die mit mir meinen Körper bewohnen - getröstet werden können, dass man mit ihnen reden kann.
Dennoch ist es schwer, denn der Schmerz ist natürlich wieder genauso heftig da wie vorher, da es jahrelang keine An- und Aussprache gab, jahrelang niemand getröstet wurde und einige Wahrheiten einfach nicht realisiert wurden.

 Dass wir jetzt sicher sind, wird langsam einigen innen klar. Dass die Welt anders ist, als wir sie uns vorgestellt haben, dass wir diesen ständigen Schmerz nicht verdienen, das wird einigen auch schön langsam klar.

Aber wie leben, wenn im tiefen Inneren immer noch Anteile verborgen sind, denen diese Dinge nicht klar sind?

Genau diese Anteile muss ich finden, ... finden und retten.

Eine große Aufgabe.

Dienstag, 14. August 2012

umzug

Der Stress baut sich auf, ist innerlich in mir wie ein blauer Fleck, an dem ich immer und immer wieder anstoße, immer und immer größer wird der Druck, immer unangenehmer, bis es fast schmerzhaft ist.

Meine Lieblingsbücher und meine Katzen übersiedeln zu meinem Freund.

Meine Wohnung behalte ich, aber dennoch, es erzeugt so viel Stress.

Überall Kisten, überall Chaos.

Wie war das mit meinem Rückzugsort? Schnell, Thera, erinnern Sie mich doch noch einmal.

Was wird sie wohl heute dazu sagen, wenn ich ihr erzähle, dass ich zu H ziehe? Wird sie die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und sagen, Frau xy, hatten wir nicht ganz was anderes besprochen?

Aber ich halte es dennoch für eine wunderbare Idee. Weniger Stress, weniger hin- und herfahren, weniger Stress auch für die Katzen, wenn sie wieder jede Nacht jemanden um sich haben, und nicht nur sporadisch und sonst untertags. Sie brauchen uns.

Es war einfach der richtige Zeitpunkt gekommen.

Und irgendwie ist es ja auch aufregend! Meine schönen, wunderbaren Bücher! Sie neu eingereiht und schön in Reih und Glied stehend zu sehen, in einer unbekannten Umgebung - wie wundervoll!
Nicht nur, dass ich während des Umräumens daran erinnert wurde, welch schöne Abenteuer ich schon erlebt habe, während ich sie las, sondern es gibt mir auch einiges an Beruhigung, sie um mich zu haben, in dieser neuen, anderen, nun auch teils meiner eigenen Wohnung.

Es ist eine gute Sache.
Ich muss nur den Stress irgendwie loswerden, den es erzeugt, sich entscheiden zu müssen: welche Bücher? Welche Sachen? Was nehme ich mit, was lasse ich da?

Und die Kisten überall. Und das runter- und rauftragen. Es ... brrr ... es erzeugt so viel Stress.

Und wie geht es den anderen Innen? Da gibt es viele gemischte Gefühle.
Aufregung, ein neues Abenteuer, eine neue Umgebung, die wir gestalten dürfen! Toll!
Und dann noch: Angst. Wir haben fast 5 Jahre gebraucht uns in dieser Wohnung endlich wohl zu fühlen. Sicher zu fühlen.

Aber vielleicht hilft es ja, wenn H da ist, dem wir vertrauen, den wir mögen und den einige von uns lieben.

Vielleicht hilft das ja wirklich.

Ach noch so viel zu tun.
Ich sollte schön langsam meine Pause beenden, eines der Katzenklos leeren und schauen, dass meine Katzen alles mithaben, was sie brauchen, denn mein Hund fühlt sich bereits wie zu Hause in Hs Wohnung. Jetzt müssen sich nur noch die Katzen wohlfühlen.

Das kriegen wir schon hin. Wird schon klappen.

Tief durchatmen. Morgen ist der größte Stress auch schon wieder vorbei. Wir bekommen das alles auf die Reihe. 

Donnerstag, 9. August 2012

In einem dunklen Ort gefangen

Die letzte Woche war keine gute. Ich war an einem dunklen, feuchten, kalten Ort gefangen innerlich. Erst in der Therapie konnte ich mich von dort lösen und an einen Ort zurück gehen, der wesentlich angenehmer war.

Was war der Auslöser? Fragen über die Vergangenheit. Einiges liegt noch im Dunkel verborgen. Anderes ist bereits ans Licht gebracht, jedoch kehren Innenanteile immer wieder an diese Orte der Erinnerung zurück, weil sie es schwer finden an die Sicherheit im heutigen Außen zu glauben, es schwer finden sich hier zu verankern, es schwer finden Geborgenheit anzunehmen.

Glücklicherweise gibt es dann so tolle Therapeuten wie meine, und so tolle Freunde, wie ich sie habe.

In der Nacht vor der Therapie wurde ich von Alpträumen vermischt mit Flashbacks geplagt. Immer wieder wachte ich schreiend auf. Immer wieder das Wort: "NEIN!"
Mein Freund blieb wach an meiner Seite, streichelte mir den Rücken, war für mich da. Redete mir zu. Er ist einfach wundervoll und ich bin froh ihn zu haben.

Es muss schwer für ihn sein.

Seit meinem Therapietag geht es glücklicherweise wieder viel viel besser. Ich bin wieder lebensfroher, entspannter und glücklicher.
Wieviel es ausmachen kann einen Ort im Innen zu verlassen, ihn zurückzulassen, wieder in Sicherheit zu sein - selbst im Innen.

Ich weiß noch viel zu wenig über meine innere Landschaft. Das wurde mir in den letzten Tagen immer wieder klar. Ich weiß zu wenig über meine Innenanteile, meine "headmates". Ich beschäftige mich zu wenig mit ihnen.
In den letzten Monaten war ich so glücklich im Außen, konnte mir eine stabile Beziehung aufbauen, konnte meine Freundschaften vertiefen, dass ich die meiste Zeit ignorierte, was Innen geschah.
Mir ist klar, dass das letztendlich zu Desaster wie eben in der letzten Woche führt. Mir ist auch klar, dass es  zu noch mehr Chaos im Innen führt, als sowieso schon vorhanden ist.
Dennoch fällt es mir schwer, mich mit all dem auseinander zu setzen.

Ich wäre so gerne frei. Frei von meiner Vergangenheit, frei von den UNTaten meiner Verwandten und dem Nichts-Tun der Zeugen. Ich wäre so gerne frei von den dunklen Orten an die mich die Täter gebracht haben.

Ich weiß der Weg in die Freiheit funktioniert bei mir nur durch liebevolle Konfrontation mit meinen Innenpersonen, mit den "Mitbewohnern" wie sie eine Bekannte einmal nannte. Mit meinen "headmates".

Aber es ist schwer. Es ist schwer all diese Personen in meinem Innen zu entdecken. Die kampfbereiten Teenager, die traurigen und auch fröhlichen Kinder, die spirtiuellen Seelen, all diese Verwundbarkeit, wenn auch verbunden mit unglaublicher Kraft, machen es nicht einfach.

Es ist schwer daran zu glauben, dass in mir all diese Personen wohnen können, in meinem Körper und Kopf. Es ist schwer zu glauben, was mir mein Außen berichtet von den Dingen, die ich getan habe, während "ICH" nicht da war. Es ist schwer zu glauben, dass das alles Realität ist. Meine - unsere - Realität.

Es ist schwer zu glauben.
Daher verstehe ich, wie schwer es für Menschen zu glauben sein muss, die nicht davon betroffen sind, die nicht regelmäßig mit Multiplen zu tun haben, die nicht so schlimme Dinge erlebt haben und daher auch oft gar nicht glauben, dass solche Dinge ("heute, im Hier und Jetzt?! Im 21. Jahrhundert? In Österreich?!") geschehen.
Tag täglich.

 Ja, ich bin nicht alleine gefangen an einem solchen dunklen Ort.
Ich finde keinen Trost darin, dass solche Dinge auch anderen Menschen passieren.
Aber ich finde Trost darin, dass ich nicht die einzige Multiple bin auf dieser Welt. Ich finde Trost in den Internetforen, wo "Menschen wie ich" schreiben, mit mir Freud und Leid teilen, mich wissen lassen: "Du bist nicht allein".
Ich hoffe ich kann das mit diesem Blog auch im deutschsprachigen Raum tun.

Ihr seid nicht alleine. Ob multipel, oder einfach nur ein Mensch, der viel zu viel Leid in seinem Leben erfahren musste: ihr seid nicht allein.
DU bist nicht alleine.

Sonntag, 5. August 2012

schüchtern

Ich hatte, beziehungsweise habe, ein schönes Wochenende.
Am Freitag waren mein Freund und ich aus. Zuerst konnte ich mich nicht aufraffen, ich wollte nicht alleine in unseren "Stammclub" gehen und dann entschied mein Freund doch mitzukommen.
Ich tanzte und tanzte. Vor allem zu dem Lied "Given up" von Linkin Park konnte ich mich so richtig auspowern, denn der Rhythmus und der Text waren an diesem Abend perfekt. Ich fühlte mich auch so, denn mein Freund hatte vorher einen Scherz gemacht, den ich in die falsche Kehle bekommen hatte und ich dachte mir nur: "Was ist nur los mit mir? Warum kann ich nicht normal sein, sodass mir solche Scherze nichts ausmachen?!"
Also tanzte ich und danach fühlte ich mich ein wenig besser.

Am nächsten Tag schliefen wir sehr lange. Am Abend gingen wir - mein Freund und ich - in einen kleinen Clubkeller. Freunde von meinem Freund feierten dort den Geburtstag eines Clubmitglieds.
Ich fühlte mich so schüchtern. Ich weiß in solchen Momenten nicht, wie das zusammenpasst, dass jemand, der am Abend davor noch wild getanzt hatte und sich nichts dabei dachte, am nächsten Tag so schüchtern sein kann.
In diesem Clubkeller waren viele Menschen, von denen ich nur zwei kannte und ein paar schon einmal gesehen hatte.

Aber ich konnte einfach mit niemandem ein Gespräch anfangen, saß nur herum und versuchte nicht allzu auffällig zu sein. Das Narbenmädchen versucht nicht auffällig zu sein?! Was für ein Witz. Natürlich fielen die vielen Narben auf, wenn auch nicht ich. Ich habe sie die gesamten Ober- und Unterarme entlang und auch auf den Beinen, die zu dem Zeitpunkt allerdings unter einer langen Hose versteckt waren.
Trotzdem, an das dachte ich diesen Abend gar nicht. Denn manchmal, da vergesse ich zum Glück, dass ich überhaupt Narben habe, auch wenn das Thema Selbstverletzung für mich noch nicht abgeschlossen ist.

Nach ein einhalb Stunden herumsitzen und kaum mit jemandem reden, reichte es mir dann. Ich war müde, überfordert und extrem schüchtern.
Also ging ich nach Hause und hoffte, mein Freund würde den Abend mit seinen Freunden und Bekannten genießen.

Ich vergesse nicht nur die Narben immer wieder, sondern auch, dass ich multipel bin. Dann erscheint es mir natürlich als vollkommen paradox, so schüchtern sein zu können und dennoch auf Menschen offen und fröhlich zugehen zu können.
In solchen Momenten denke ich mir immer: "Irgendetwas stimmt doch mit mir nicht!"

Was zu einem gewissen Teil auch wahr ist, denn multipel zu sein, ist natürlich nicht etwas, was der "Normalität" entspricht - zumindest nicht der Normalität einer heilen Welt. Wenn man so aufwächst, wie ich aufgewachsen bin, ist es durchaus normal, sich zu spalten.

Aber so bin ich nun einmal, oder sollte ich sagen, so sind WIR nun einmal? Schüchtern, offen, traurig, fröhlich, dunkel, hell, klein und groß.
Es ist ein kompliziertes und oft einsames Leben.
Umso dankbarer bin ich meinen Freund zu haben, meine Mutter und die handvoll Freunde, die zu mir stehen.