Samstag, 19. November 2016

Die Anzeige und was passierte.

Zurück zum Thema Anzeige.

Ich bekam ALLE Aussagen gegenüber der Polizei zu lesen. Ausgesagt haben: Meine Tante M, deren zwei Töchter B und K, meine Großmutter, eine Frau, die mit meinem Onkel einige Jahre liiert war und deren Tochter. Außerdem hat meine Mutter ausgesagt.
Mein Onkel selbst hat natürlich auch eine Aussage machen müssen.

Die Aussagen zu lesen war erschütternd für mich.
Meine Großmutter hat eine "heile Familie" (wortwörtlich!) erfunden, in der alle glücklich waren.
Nicht ausgesagt (also wahrscheinlich einfach verweigert, da er das kann, da es sich hier um seinen Sohn handelt) hat mein Großvater.
Auch sonst hat niemand etwas dazu gesagt, und meine Mutter hatte acht Geschwister (wovon zwei bereits gestorben sind).

Meine Cousinen haben mehr oder weniger direkt gesagt, dass ich lüge.
Laut ihnen war die allgegenwärtige Gewalt einfach nur "die Burschen haben halt ein bisserl rumgeschubst" und wären halt aufgrund ihres Größen- und Geschlechtunterschiedes ein wenig "gröber" gewesen.
Eine der beiden meinte, sie glaube schon, dass ich vergewaltigt worden wäre, aber wenn dann in Amerika, als ich 15-16 Jahre alt war. (WTF?!)
Ihre Schwester hat interessanterweise (für mich) eine Szene beschrieben, die einer meiner Missbrauchsszenen SEHR ähnelt. Das war für mich wie ein Beweis, dass ich NICHT spinne.

Einen weiteren Beweis lieferte dann meine Großmutter, die auch bei der Hauptverhandlung ausgesagt hat (sowie die anderen auch alle). Laut ihr gab es plötzlich ZWEI ganze Räume plötzlich nicht mehr, nämlich die beiden Räume, in denen ich alleine oft gespielt und auch übernachtet habe. Die Räume, in denen vor allem viel der sexualisierten Gewalt passiert ist.
Als meine Anwältin dann nach Bauplänen fragte, waren die Räume urplötzlich wieder da.

Auch das war für mich ein Beweis, dass ich nicht verrückt bin, etwas vor dem einige in uns immer noch Angst haben, denn es war SO absurd diese Aussagen zu lesen. Ich konnte es kaum glauben, dass meine Familie derart vertuschen würde, und zwar ALLES, was passiert ist! Es gab bei mir nach dem Lesen der Aussagen gegenüber der Polizei einen richtigen Bruch mit der Realität. Ich war dermaßen geschockt und entsetzt, dass ich am Heimweg nicht verstehen konnte, warum sich die Welt einfach weiterdreht.

Mein Teil der Verhandlung beginnt also Anfang Dezember.
Ich WEISS, wie Täter-/Gewaltfamilien funktionieren! Ich weiß es, und dennoch war es für mich unglaublich schmerzhaft.
Ich weiß, dass Vertuschung, Verleugnung und Verleumdung normal sind. Und dennoch traf es mich wie ein Schlag.
Denn ich konnte es mir immer noch nicht vorstellen, dass MEINE eigene FAMILIE so war. Für mich war die Gewalt physischer, psychischer und sexueller Natur dermaßen normal, dass ich einfach meine Familie in diese Muster nicht einordnen KONNTE!
Und teilweise auch heute noch nicht kann.
Es kommt mir so eigenartig vor. Ich dissoziiere sehr, sehr viel, noch immer, wenn es um meine Familie geht. Ich kann es einfach nicht fassen, dass sie so sind, wie sie sind.

Die einzige die an meiner Seite stand und steht, ist meine Mutter.
Ihre Aussagen waren stark und beeindruckend. Ich bin so froh, sie an meiner Seite zu haben.
Ohne sie, hätte ich es niemals geschafft, zur Polizei zu gehen, vor Gericht auszusagen, und jetzt noch einmal auszusagen.

Im Gerichtssaal habe ich die Möglichkeit meinen Onkel aus dem Raum gehen zu lassen, bevor ich ihn betrete. Ich werde diese Möglichkeit NICHT wahrnehmen.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich es schaffen werde, ihn zu ignorieren und mich ganz auf die Richter und Schöffen zu konzentrieren. Aber sie sollen sein Gesicht sehen, wenn ich meine Geschichte - unsere "gemeinsame" Geschichte - erzähle. Denn ich bin mir fast sicher, er wird lächeln. Denn das ist es, war er immer tat - er tat immer so, als wäre die Gewalt, die er an mir verübte, unglaublich lustig. Vielleicht fand er es tatsächlich lustig, oder wollte den Schein bewahren, es sei alles nur "ein Spiel", in der Hoffnung ich würde es auch als solches wahrnehmen und nie, nie, nie jemandem davon erzählen. Er und sein Bruder haben mein Leben bedroht - aber es war alles nur ein Spiel?

Die Schöffen haben die Frage gestellt, wie es sein kann, dass ich trotz der Gewalt, die in meiner Familie herrschte dermaßen gute Noten in der Schule hatte! Sie können sich das einfach nicht vorstellen, und ich frage mich:
Liegt es an dem Vorurteil, dass nur "dumme Menschen" Opfer sein und werden können?
Ich bin nicht dumm, ich war nie dumm.
Und dennoch wurde ich Opfer.
Ich bin psychisch nicht schwach, und dennoch war ich Opfer.
Ich bin nicht hilflos - nicht mehr - aber ich war Opfer, und ich war DAMALS sehr wohl hilf- und wehrlos.

Das Leben wird weitergehen, denn es geht immer irgendwie weiter.
Die Welt wird sich drehen, es werden Tage und Nächte vergehen, und auch mein Leben wird weitergehen. Ich freue mich auf das "danach", wenn diese ganze Geschichte ENDLICH vorbei ist.
Mir kommt es vor, als hätte ich ein Jahr lang nur den Atem angehalten, und gewartet.
Es ist Zeit mit dem Warten aufzuhören und zurück in die AKTION zu gehen, TATEN zu setzen, zu HANDELN.

Mein Leben ist nicht vorbei, es geht weiter, und wird auch nach der Verhandlung wieder in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Ich weiß nicht, ob er verurteilt werden wird - es sieht so aus, als wären meine Chancen sehr gering.
Aber selbst wenn er frei gehen darf, so ist es doch so, dass ich es getan habe. Ich habe meinen Mut und meine Stärke genutzt (auch wenn ich mich momentan weder mutig noch stark fühle) um diese Verbrechen anzuklagen.

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