Freitag, 25. November 2016

Und das Leben geht weiter.

Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr etwas sehr Schlimmes erfahrt, und ihr denkt, jetzt müsste eigentlich alle Welt betroffen sein, aber es betrifft eben nur euch und die Welt dreht sich weiter. Alle gehen ihrem täglichen Leben nach und haben keine Ahnung, dass sich für euch jetzt alles geändert hat.

So ging es mir, als ich die Aussagen meiner Familie gegenüber der Polizei gelesen habe, damals vor einem Jahr.
Und manchmal schleicht sich dieses Gefühl auch heute noch in mein Bewusstsein.

Im letzten Jahr hat sich sehr, sehr vieles verändert für mich (und uns). Wir spürten uns kaum, wir hatten ein Jahr lang das Gefühl, den Atem anzuhalten. In der Therapie ging fast nichts weiter, fast niemand erschien, meist immer nur dieselbe Person, die kaum bereit war, wirklich mit den anderen zusammen zu arbeiten.

Unsere letzte Therapie Stunde ist jetzt drei Tage her, und plötzlich verändern sich die Dinge im Inneren. Wir lassen unsere Gefühle, egal wie verwirrend (und schmerzhaft!) wieder an "uns" heran. Alle dürfen wieder sein, so wie sie da sind, in all ihren Gefühlen, mit all ihren Gedanken.
Wir haben wieder "aufgemacht".
Und es ist schön wieder die anderen zu spüren, für mich, die so ausgeschlossen war (und ausgeschlossen hatte). Wir haben einander wieder, sind nicht mehr alleine im Inneren eingeschlossen, isoliert voneinander.
Doch genauso schön wie es ist, ist es auch schmerzhaft.
Wir sind dabei uns emotional von unseren Cousinen zu verabschieden. Die Großmutter haben wir abgehakt, von der Tante hatten wir zwar etwas anderes erwartet, aber wir verstehen die Gedanken einer Mutter (auch wenn dies dazu führt, dass sie unserer Meinung nach einen Riesenfehler begeht!).
Doch unsere Cousinen, die in unserem Alter sind, können wir kaum loslassen.

Also hat ein Trauerprozess begonnen.
Die Cousinen sind nicht die, die sie einmal waren. Und sie sind auch nicht die, für die wir sie in den letzten 10-13 Jahren gehalten haben. Wir hatten das Gefühl, wir wären einander nahe, doch das war Täuschung.
Sie haben schlecht von uns gedacht. Sie haben uns für eine Lügnerin gehalten. Und eine Betrügerin. Ein Naivchen, das Realität von Einbildung nicht unterscheiden kann.
Es tut so unglaublich weh.

Bevor wir anzeigten, wussten wir, es würde nicht schön werden. Diese Auseinandersetzung mit dem Bild unserer "Familie" und dem, was der Ausdruck "Familie" für uns bedeutet, hatten wir jedoch nicht erwartet.
Man ist Opfer einer gewalttätigen Familie, die Kinder leiden lässt, lieber wegschaut, als sich unangenehmen Wahrheiten zu stellen, und als Opfer dieser Familie ist das normal, alles ist normal. Und man glaubt "Meine Familie ist anders!" denn, bei uns war es "nie so schlimm" und es war "alles ganz anders!".
Meine Familie ist anders ...
Nein, leider eben nicht.
Familien in denen Inzest und andere Formen von Gewalt passieren, sind einander leider immer sehr ähnlich.

Ich habe Glück, denn ich habe meine Mutter. Eine mutige und starke Frau, die für ihre und meine Freiheit kämpft und nicht von meiner Seite weicht.
Also ja - meine Familie ist anders, denn ich habe meine Mutter.
Die anderen jedoch haben genauso reagiert, wie es "das Buch" vorschreibt: mit Ablehnung, Verleumdungen, Lügen und: das schwarze Schaf sind nicht die Täter, sondern das/die Opfer.

Es schmerzt. Es tut so weh.
Und dennoch: auch wenn die Welt sich für uns für immer verändert hat, wird auch für uns das Leben weitergehen. Wir werden aufhören den Atem anzuhalten, und wir werden Nähe, Gefühle, Liebe, Zuneigung wieder zulassen. Denn es hat ja schon begonnen.

Wir sind nicht mehr alleine - weder im Außen, noch im Innen.

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