Sonntag, 3. Juni 2012

Und dann gibt es Tage wie diese...

Wie ist es, das Leben als Multiple?

Natürlich ist nicht alles Sonnenschein.
Der Tag gestern fing gut an. Doch dann, irgendwann begann es zu kippen.
Wieder ein Flashback. Ein Flashback, für die, die's nicht wissen, ist eine lebhafte Erinnerung. Wo du siehst, was du damals sahst, wo du spürst, was du damals spürtest, wo du riechst, schmeckst, hörst, alles wiedererlebst, als wärst du wieder dort. Dort, damals, vor langer Zeit. 25 Jahre ist es her, dass es das erste Mal passierte ... oder vielleicht setzte auch erst mit vier Jahren die erste Erinnerung für mich ein.
Nicht immer erlebe ich alles auf einmal. Manchmal sind es nur sogenannte "Körpererinnerungen" - du spürst nur. Manchmal sind es nur die Bilder, die vor meinen Augen ablaufen. Manchmal dies, manchmal jenes, manchmal auch alles auf einmal.
Gestern waren es vor allem Bilder und Geräusche.
Mein Freund war dabei und er half mir mich wieder im Hier und Jetzt zu orientieren. Ich stand auf, unterhielt mich mit ihm, dann setzte ich mich vor den Computer, versuchte etwas AKTIVES zu tun. Dann ein wenig fernsehen - Conan der Detektiv, ein Anime.
Erst als wir wieder auf die Straße gingen, konnte ich mich wieder einigermaßen erholen.

Ich hatte geweint. Erst das zweite Mal, dass ICH nach einem Flashback geweint habe. Niemand hatte mich beschützt, niemand war für mich da gewesen. Niemand hatte diese Dinge verhindert. So viele hatten sie gehört, gesehen, so vielen war es aufgefallen. Niemand tat etwas. Ich war auf mich selbst gestellt.

Meine Mutter meinte, ich wäre schon im Kindergarten-Alter multipel gewesen. Das kann ich mir gut vorstellen.

Die Einsamkeit damals, sie war überwältigend.

Das sind die Schattenseiten.

Es ist nicht alles schön und voller Hoffnung. Manchmal ist es trostlos. Manchmal bin ich - und sind wir - voller Verzweiflung. Dann ist alles ohne Licht. Dann kann man sich nur blind vorantasten, einen Schritt langsam vor den anderen setzen.

Ich habe viel Erfahrung mit den dunklen Zeiten. Ich weiß mittlerweile: sie gehen wieder vorbei. Sie werden immer kürzer, mit jedem Mal, wo ich weitergehe und nicht aufgebe.
Früher bemerkte ich es kaum. Sie waren nur um eine halbe Stunde kürzer, vielleicht dann später um eine Stunde. Bald aber wurden es mehrere Stunden, und dann darauf schon Tage.

Mittlerweile können wir uns schon nach wenigen Tagen, manchmal sogar nur nach wenigen Stunden, aus dem Morast der Erinnerungen und Verzweiflung wieder herauskämpfen.

Wie ist es nun, multipel zu sein?
Es ist bizarr. Ja, selbst für mich, die es lebt, ist es bizarr. Es ist eigenartig zu glauben, "Ach, ich habe alles mitbekommen, ich habe nichts verpasst" und dann von jemandem Dinge zu erfahren, an die ich keine Erinnerung habe. Wenn ein Kind heraußen war, ist es am schlimmsten. Sie sind anders. Sie sind wirklich absolut und vollkommen Kind. Es gibt mutige Kinder, schüchterne Kinder und Kinder die einfach nur weinen und sich miserabel fühlen.
Zu erfahren, dass sich ein Kind irgendwann im Laufe der Zeit wieder zu Wort gemeldet hat, löst bei mir erst einmal Entsetzen aus. Es ist mir unangenehm, ja peinlich. Erst später setzt die Neugierde ein. Wer war es? Was hat das Kind getan oder gesagt? (Ich habe ein Innenkind, das nichts redet). Mit wem hat es geredet? Wo hat es sich gezeigt?
Das sind alles schrecklich bizarre Dinge.

Aber, wenn es für mich schon so bizarr ist: wie bizarr muss es erst für andere sein?!

Es ist einsam. Nur wenige verstehen es, wollen daran glauben, dass es solche Dinge wirklich gibt. Nur wenige möchten sich damit auseinandersetzen.

Jeder ist anders. Mein System (meine Innenpersonen - eine Freundin nannte sie auch Mitbewohner) ist anders als das des nächsten. Jedes System ist so individuell wie die Menschen individuell sind. Genauso ähneln wir einander, wie sich eben Menschen auch ähneln können.

Tja, und da stehen wir nun, ein bunter Haufen, voller Angst. Angst, nicht gemocht zu werden, zurückgestoßen und verletzt zu werden.

Ich, Clouds, die Außenperson, glaube mittlerweile an meine "Anderen". Ich weiß, dass es sie gibt. Die Beweise liefern immer wieder meine Mitmenschen. Dennoch... manchmal, da schleichen sich Zweifel ein: "Ich habe das alles erfunden. Ich bilde mir das alles nur ein!"
Aber wie? Wie soll ich es erfinden, wenn mir Menschen von Dingen berichten, an dich ich keine Erinnerung habe?

Bleiben wir also bei diesen Beschreibungen: bizarr, einsam und angstbesetzt.

Irgendwie kann ich's ja verstehen, dass nur wenige bereit sind hinzuschauen. Nur wenige bereit sind, sich unseren und ihren eigenen Schattenseiten zu stellen.

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